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Ein kleines Paradoxon legt das Label Carrere, welches immer Garant für Aufnahmen am
Rande der Qualität ist, mit diesem LP-Doppel-Album vor: Peter Walden dirigiert das
Raphaele Concert Orchestra und präsentiert dem Hörer nicht mehr und nicht weniger als
16 Offenbach zugeschriebene Orchesterwerke, dabei vornehmlich Ouvertüren.
Diese Fakten an sich wären nicht weiter erwähnenswert. Das Besondere an dieser
Einspielung ist jedoch, daß die schon oft nicht von Offenbachs eigener Hand
stammenden Werke nochmals von A.P. Waldenmaier überarbeitet wurden. Und so erwartet
den Offenbach-Freund zumeist die Bearbeitung der Bearbeitung.
Auch bis hierhin mag der leidgeprüfte Hörer sich fragen: was ist daran Besonderes? Gab
es nicht durch viele Jahrzehnte hindurch die furchtbarsten Offenbach-Entstellungen,
die erst mit der in den 1990'er Jahren einsetzenden Offenbach-Renaissance ihr Ende
fanden? Fraglos muß hier die Antwort "Ja" lauten, der Unterschied zur vorliegenden
Produktion liegt allerdings darin, daß diese "Offenbach-Ableitungen" mehr als gelungen
daherkommen.
Dies liegt zum einen an den Bearbeitungen A.P. Waldenmaiers selbst. Nebenbei: ist es
ein reiner Zufall, daß der Name des Dirigenten (Peter Walden) komplett in dem Namen
des Bearbeiters enthalten ist? Oder sollte hier nur eine Personenidentität vertuscht
werden? Wie dem auch sei: Die Arrangements können sich zwar bisweilen einer gewissen
Plakativität nicht erwehren, aber auch der feinsinnige Offenbach' sche Esprit kommt
nicht zu kurz.
Auch in diesem Zusammenhang drängt sich der Verdacht auf, daß Herr A.P. Waldenmaier
und Herr Peter Walden ein und dieselbe Person sind, denn für das Dirigat gilt
ähnliches wie für die Orchesterfassungen: plakativ, effektvoll, aber nicht unpassend
jagt Peter Walden das präzise musizierende Orchester durch die Partitur. Atemlose
Gallopps wechseln mit schwungvollen Walzern und dramatischen Tutti, so daß den Hörer
sogar die sattsam bekannte Ouvertüre zur »Belle Hélène« in der Fassung Friedrich
Lehners angenehm überrascht aufhorchen läßt: hoppla, das Ding hat ja durchaus seine
Momente!
Und ein weiterer Pluspunkt spicht für diese Kompilation: denn es finden sich hier -
wenn eben auch nur in abgewandelter Form - Raritäten wie die Ouvertüren zu »Daphnis
et Chloë«, »Le Fifre Enchanté ou Le Soldat Magicien«, »La Princesse de Trébizonde«
oder »La Permission de Dix Heures«. Welche Produktion des Offenbach-Kataloges kann
sich solches auf die Fahnen schreiben?
Sicherlich: es wäre authentischer, Werke wie diese in der originalen Fassung
beispielsweise unter Marc Minkowski oder Jean-Christophe Keck zu hören. Aber bis sich
dieser Wunsch erfüllt, bleibt die vorliegende Aufnahme ein sehr, sehr guter Ersatz -
und auch danach hat sie einen Platz in der Sammlung verdient.
[ Marcus Ebeling ]
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